Vorsicht, Explosionsgefahr!

Vorsicht, Explosionsgefahr!

Welche Risiken bergen veraltete Airbag-Systeme in Young- und Oldtimern?

Text: Renate Freiling

Man findet sie im Lenkrad, unter dem Armaturenbrett, in der B-Säule, im Sitz oder der Kopfstütze – Airbags. Kleine Sprengsätze mit weißen Luftsäcken, die als Aufprallschutz bei Unfällen in Kraftfahrzeugen montiert sind. Seit ihrer Einführung sind 40 Jahre vergangen. Funktionieren die gealterten Airbags in Young- und Oldtimern noch zuverlässig oder können die elektronischen Bauteile gar gefährlich werden?

In den USA rollten Marken wie Oldsmobile, Buick oder Cadillac schon ab 1974 mit eingebauten Airbags über die Highways. Erst 1981 gab es in Deutschland den großen Knall: Mercedes-Benz bot den weltweit ersten Fahrerairbag in der S-Klasse an. Audi, Volkswagen und Opel folgten, bis der Luftsack auch hierzulande zur serienmäßigen Sicherheitsausstattung gehörte. Heute befinden sich bereits viele damit ausgerüstete Young- und Oldtimer auf Deutschlands Straßen.

Grafik Oldtimer

Vorbild der Sicherheitstechnik: Die Mercedes-Benz S-Klasse der Modellreihe W 126 war im Dezember 1980 das erste Automobil mit Fahrer-Airbag und Gurtstraffer für den Beifahrer.
Foto: © Daimler AG
 

Stephan Joest ist Profi, wenn es ums vernetzte Automobil geht. In seiner Freizeit ist er mit Herzblut Beirat „Elektronik“ des Oldtimerverbands DEUVET und Präsident des globalen Dachverbands aller nichtkommerziellen Citroën-Clubs Amicale Citroën Internationale ACI. Er widmet sich insbesondere dem Erhalt elektronischer Bauteile des Kulturguts Automobil. „Verlorene Bytes und unwiederbringlicher Source-Code können nicht nur Teilfunktionen, sondern ganze Fahrzeug-Generationen für immer stilllegen“, erklärt Joest. „Denn bereits seit Ende der 1960er Jahre besitzen Fahrzeuge diverse Sensorik und Steuergeräte, die leider einem herstellerunabhängigen, physikalisch-chemischen Alterungsprozess unterliegen.“ Dazu gehört auch der Airbag.

Seine Funktionsweise ist schnell erklärt. Ein Quecksilberschalter dient als Auslöser bei einem abrupten Tempoabfall, wie er bei einem Aufprall zu verzeichnen ist. Er löst den Sprengsatz, einen Gasgenerator, aus, der bei der Entzündung seines bis dahin festen Treibstoffs ein weit über 1000° C heißes Gas produziert. Dieses wiederum bläst den Luftsack aus beschichtetem Polyamidgewebe in Millisekunden auf, ebenso schnell fällt er durch das Abkühlen des Gases wieder in sich zusammen. „Die angewandte Bauweise, Bestandteile und die extrem haltbaren Materialien haben sich im Laufe der Jahrzehnte kaum verändert“, sagt Stephan Joest. „Neben Diagnose-Systemen, die z. B. heute über den OBDII-Port angeschlossen werden können, zeigt das Airbag-Steuergerät dem Fahrer mittels der entsprechenden Anzeigefunktionen im Armaturenbrett an, wenn etwas kaputt ist.“

Stellt sich dann bei der Diagnose heraus, dass beispielsweise die Zündleitung unterbrochen ist, könnte dies auf verschlissene Schleifkontakte zurückzuführen sein, die aus Kohlestiften bestehen. „Ein Verlust des Quecksilbers im Schalter hingegen kann nicht angezeigt werden“, sagt der Elektronik-Experte. „Eine äußerlich erkennbare Gefahr besteht beispielsweise in marodierenden Kabeln. Verhärtete Isolierungen können brechen und Kurzschlüsse entstehen.“ Daher sollten alte Kabel regelmäßig überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht werden.

Insassenschutz mit System: Die Mercedes-Grafik aus dem Jahre 1980 erklärte die Funktion von Airbag und Gurtstraffer auf Basis eines gemeinsamen Sensorsignals.
Foto: © Daimler AG

1979-1984: Phasenfoto der Funktionsweise von Lenkrad-Airbag und Gurtstraffer, 1981. Zu dieser Zeit bietet Daimler-Benz weltweit als einziger Hersteller den Gurtstraffer für den Beifahrer und den Airbag für den Fahrer an.
Foto: © Daimler AG

Von ungewolltem Auslösen des Airbags hört man nur ganz selten. Dabei liegt die Gefahr wohl eher in dem Schrecken, den die kleine Explosion beim Fahrer auslösen kann. Eine wahrscheinlichere Fehlfunktion ist jedoch das Nichtauslösen bei einem Unfall, was nur die Probe aufs Exempel bestätigen kann. Die technischen Prüfeinrichtungen befassen sich nicht mit dem Airbag-System, denn die Wartungsvorschrift, es alle 10 Jahre auszutauschen, ist abgeschafft. Lediglich die obligatorische optische Prüfung der entsprechenden Kontrollleuchten gehört zur Abnahme.

„Die Funktionssicherheit von Airbags wird von den Herstellern derzeit mit mindestens 15 bis 25 Jahren angegeben. Nahezu alle Hersteller haben zugesagt, neben der gesetzlich geregelten Verpflichtung zur Bereitstellung von Ersatzteilen – bis zu 10 Jahren nach Produktionseinstellung – noch weitere Jahre Ersatzteile mit Garantie bereitzuhalten“, sagt Joest. Wer den Airbag seines Young- oder Oldtimers vorsichtshalber austauschen lassen möchte, sollte unbedingt einen Fachmann beauftragen.

Für die Wartung, den Aus- und Einbau sowie die Lagerung von Airbag-Systemen ist ein spezieller Sachkundenachweis erforderlich, es besteht schließlich Verletzungsgefahr beim Austausch. Aufgrund der Verwendung von explosionsfähigen Treibmitteln fallen Airbag-Systeme als sonstige pyrotechnische Gegenstände unter das Sprengstoffgesetz. „Die Kosten variieren je nach Modell und Ersatzteil-Verfügbarkeit stark“, sagt Joest. „Als Daumenwert kann man für den Fahrerairbag – wobei auch das Steuergerät getauscht werden muss – mit ca. 1.000 bis 2.000 Euro rechnen.“ Bei Beifahrer-Airbags muss meist das gesamte Armaturenbrett ausgebaut werden. Explodieren könnten also hierbei nicht nur die kleinen Sprengsätze, sondern auch die Kosten.

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