Neues zum Abgasskandal: Daimler-Thermofenster sittenwidrig? Das sagt der BGH!

Neues zum Abgasskandal:

Daimler-Thermofenster sittenwidrig? Das sagt der BGH!

Ein sogenanntes „Thermofenster“ sorgt nicht etwa dafür, dass sich die Fahrzeugscheiben bei bestimmten Außentemperaturen nicht mehr öffnen lassen, um die wohlige Wärme des Innenraums nicht entweichen zu lassen. Doch was macht ein Thermofenster eigentlich genau und warum gehen die Gerichte zunehmend von dessen illegaler Funktionsweise bis hin zur Sittenwidrigkeit aus? In einem kürzlich ergangenen Beschluss hatte der BGH über die Vergleichbarkeit des Mercedes-Thermofensters mit der VW-Abschalteinrichtung zu entscheiden. Lesen Sie nachfolgend die wichtigsten, für den Handel weitestgehend positiven Aussagen.

Zwiespalt: Grenzwerte einhalten oder Motorschaden in Kauf nehmen?

Zur Einhaltung der vorgegebenen CO2-Ausstoßwerte (u.a. Wochenendticker vom 07.12.2019) verfügen neuere Pkw über technisch komplexe Abgasreinigungssysteme. Wie auch andere Hersteller, hat Daimler in vielen Fahrzeugen eine Vorrichtung verbaut, mit welcher die Effektivität der Abgasreinigung geregelt und sogar komplett heruntergefahren werden kann. Hierzu wird ein Temperatur-Grenzwert festgelegt, bei dessen Unterschreiten das Thermofenster per Steuerelement aktiviert wird. In vielen Fällen führt dies dazu, dass Schadstoffausstoßgrenzen nicht eingehalten werden. Eine Konfliktsituation, denn zum Schutz des Motors und Abgasreinigungssystems sei, so die Aussage der Hersteller, eine vorübergehende temperaturabhängige Regulierung unerlässlich.

Noch zulässiges Thermofenster oder schon illegale Abschalteinrichtung?

Dass es im Hinblick auf den VW-Abgasskandal seit Bekanntwerden eine zahlenmäßig nahezu konkurrenzlose Klagewelle gab, dürfte wohl an keinem Autohändler vorbeigegangen sein. Auch der EuGH gab bereits seine Sichtweise bekannt und stufte alle Thermofenster als illegale Abschalteinrichtung ein, die einen höhere Schadstoffemission zur Folge haben, als im Testbetrieb ermittelt und kommuniziert.

Erste Gerichtsurteile in Deutschland bestätigen vermeintlich: Thermofenster des Herstellers Daimlers sind als illegal einzustufen und damit unter Umständen als Sachmangel zu qualifizieren. Im Gegensatz zum VW-Abgasskandal sind jedoch bislang keine offiziellen Rückrufe des KBA angeordnet worden. Nur der Hersteller selbst hatte Fahrzeugeigentümer – ohne eine illegale Abschalteinrichtung einzugestehen – zum Update aufgerufen. Die Gerichte stützen sich in Ihrer Argumentation maßgeblich auf den Aspekt, dass eine Abschalteinrichtung zwar dann nicht verboten sei, wenn sie zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig ist und ein solcher nicht anderweitig gewährleistet werden kann. Das konnte herstellerseitig bislang nicht bewiesen werden. Die mögliche Folge: Schadensersatz- und Rücktrittsansprüche des Käufers wegen einer gesetzlich geregelten sogenannten „sittenwidrigen Schädigung“.

Dem BGH reichten die Umstände für Schadensersatzansprüche des Klägers nicht aus

Bereits die Vorinstanzen hatten Schadensersatzansprüche abgelehnt. Allein das Inverkehrbringen des Fahrzeugs sei ungeachtet der Rechtmäßigkeit des Thermofensters nicht als sittenwidrig einzustufen. Es fehle insbesondere am erforderlichen Schädigungsvorsatz des Herstellers. Der Kläger hätte nachweisen müssen, dass die beim Hersteller Verantwortlichen in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine illegale Abschalteinrichtung zu verwenden. Dies könne nicht ohne Weiteres unterstellt werden.

Der BGH folgte dieser Ansicht und verlangte ein besonders verwerfliches, arglistiges Verhalten des Herstellers, welches nicht ersichtlich sei. Ein maßgeblicher Unterschied zu den VW-Abgasfällen sei außerdem, dass das eingesetzte Thermofenster nicht nach realem Fahrbetrieb und Testbetrieb auf dem Prüfstand unterscheide und dementsprechend unterschiedliche Abgaswerte produziere. Der Stickoxidausstoß ist de facto ausschließlich temperaturabhängig. Eine solche Funktionsweise reichte dem BGH nicht aus, um von einer besonderen Verwerflichkeit auszugehen und einen potenziellen Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen.

Die Vorinstanz muss dem Kläger nun allerdings erneut Gelegenheit zur Stellungnahme verschaffen, da zumindest eine Verletzung rechtlichen Gehörs angenommen wurde. Ob ihm dabei jedoch der erforderliche Nachweis gelingt, erscheint fraglich.

Fazit

Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen, denn sie differenziert sauber nach Funktionsweise der verwendeten Abgassteuerung und setzt vernünftige Grenzen zwischen Erlaubtem und Illegalität.

Zwar ist damit nicht entschieden, ob es sich bei einem Thermofenster um einen kaufrechtlichen Sachmangel handelt – Gewährleistungsansprüche bleiben damit außen vor. Jedenfalls stehen die Chancen für den Käufer aber nun deutlich schlechter, nach Ablauf der Gewährleistungsfrist noch Ansprüche geltend machen zu können.

Über die weitere Entwicklung werden wir an dieser Stelle berichten.

Ihre BVfK-Rechtsabteilung

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