Freier Neuwagenhandel im Umbruch – bedeuten Agentur- und Direktvertrieb das Ende der Parallelimporteure?

Freier Neuwagenhandel im Umbruch – bedeuten Agentur- und Direktvertrieb das Ende der Parallelimporteure?

Als „goldene Mitte“ zwischen dem klassischen Vertrieb über den Handel und dem Direktvertrieb über den Hersteller bezeichnet die Unternehmensberatung Roland Berger im Kfz-Betrieb-Newsletter vom 26.08.2021 das Agenturmodell, wie auch den Direktvertrieb, worauf auch in Deutschland immer mehr Hersteller und Importeure setzen würden. Bergers Studie betrachtet Situation und Entwicklung aus der Perspektive der Hersteller und ihrer Vertragshändler. Doch wie steht es eigentlich mit der Zukunft des freien Neuwagenhandels?

Der freie Neuwagenhandel kommt in Bergers Studie nicht vor, was zunächst daran liegen dürfte, dass er auch in der GVO nicht vorkommt. Dort gibt es lediglich die freien Neuwagenvermittler. Die haben sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur EU-Neuwagenhändler genannt, sondern auch zunehmend so agiert. Es geht also weniger darum, ob sich die rechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit einer neuen GVO ändern werden, sondern um das Faktische. Und dabei sind zwei Faktoren von entscheidender Bedeutung: Intransparenz und Überproduktion.

Der freie Neuwagenhandels funktioniert größtenteils über Vertragshändler im Ausland. Die Hersteller erfahren, wenn überhaupt, meist erst lange nach Endkundenzulassung vom Weg, den ihre Autos auf der Handelsstrecke zurückgelegt haben. Nach den Herstellern kommen oft die regionalen Importeure eines EU-Landes, dann große freie Zwischenhändler, bis dann die Autos an Endkunden verkauft werden. Dazu gibt es dann auf Verlangen eine Endkundenbescheinigung für den Lieferanten.

Beim Agenturmodell verkauft der Hersteller über einen Vermittler an den Endkunden und kann die Strecke unterwegs bestimmen und verkürzen. Das wäre das Ende des freien Neuwagenhandels. Soweit die Theorie.

Allerdings bot die Theorie den freien Händler im Grunde genommen noch nie Spielraum, richtig zu handeln, also über die Ware nach eigenem Gusto zu bestimmen. Freier Neuwagenhandel war rechtlich gesehen immer nur Neuwagenvermittlung und diese war eigentlich auch nur so angedacht, wie es Hyundai seit einiger Zeit als Voraussetzung für das Gewähren der Herstellergarantie offiziell verlangt: Der Vermittler liefert den Kaufinteressenten beim Vertragshändler vor der Tür ab, kassiert seine Provision und verschwindet wieder, um nach dem nächsten Interessenten Ausschau zu halten.

Aus dem Abliefern des Kunden beim Vertragshändler wurde allerdings schnell das Anliefern des Fahrzeugs beim Kunden, denn der hatte weder Lust, das Auto beim ausländischen Vertragshändler abzuholen, noch mit diesem überhaupt zu reden, zu verhandeln usw. Ihn interessierte das Ergebnis und das war dann ein gutes, wenn der Neuwagenkauf genauso mühelos funktionierte, wie beim Vertragshändler um die Ecke, nur 30% günstiger. Daraus entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte ein immer intensiveres Verhältnis zwischen den EU-Marktbeteiligten von den Herstellern und Importeuren, über die Vertragshändler, die freien Händler bis hin zu den Endkunden.

Dieser parallele Marktkreislauf lebt(e) von der Überproduktion. Die Unfähigkeit vieler Hersteller, ihre Fahrzeuge „just-in-time“ zu bauen liegt im Wesentlichen im System kapitalgesteuerter Unternehmen begründet. Der ständige Blick auf die die Börsenkurse wie auch die die Managementgehälter bestimmenden Quartalsergebnisse verdrängt die nachhaltige unternehmerische Langzeitperspektive.

Dort wo keine Überproduktion stattfindet, funktioniert der freie Handel anders oder garnicht. GVO hin – GVO her. Wenn es bei keinem Hersteller zu Überproduktionen kommt, kommt es wie gerade zum Infarkt des Kreislaufs der Freien. Da es also auf die Absatzziele der Hersteller ankommt und der freie Markt seit langem Teil ihrer Vertriebsplanung sind, dürfte die Frage ob Agentur- oder Vertragshändlermodell eher eine Nebenrolle spielen. Viel wichtiger wird die Antwort auf die Frage sein: Wie geht es nach dem Ende der Halbleiter-Engpässe weiter? Wird man von den Premium-Herstellern lernen, deren Gewinne trotz Krise drastisch steigen? Sie verdienen mit der knappen Ware nicht nur sowieso mehr, sondern produzieren bevorzugt Modelle mit generell üppiger Marge – für S-Klasse und SUVs reichen die Chips, die Kunden für die A-Klasse müssen warten.

„Es geht vorbei“ singt Andreas Bourani, oder Rheinisch: „Et hätt noch emmer joot jejange“ wäre wohl die beste Losung, wenn da nicht noch der Dekarbonisierungs-Wandel wäre, der einem radikalen Umbruch gleicht. Tesla macht vor, wie es geht: Zielgruppe Digital-Nerds, wohlhabende Alt-68er Ex-Antikapitalisten mit grünem Mainstream sowie Dienstwagensteuersparer. Dies gepaart mit Staatsubventionen und dem Verkauf von Verschmutzungsrechten, sowie einem Vertriebssystem ohne Kosten für das Vertragshändlernetz und Rabatte. Als Hertz nach Abgabe der Bestellung für 100.000 Teslas bei Elon Musk die eigentlich selbstverständlichen Rabatte für Autovermieter ansprach, teilte Musk öffentlich mit, die Bestellung sei noch nicht angenommen und Rabatte würde es auch für Hertz nicht geben. Da bricht mal schnell die Gewinnerwartung in sich zusammen. Überraschenderweise fahren allerdings gleichzeitig pfiffige und flexible freie Händler wie Sascha Schmitz aus MG mit Tesla-Geschäften enorme Gewinne ein.

Aus all dem folgt, dass es für freie Händler nicht unmöglich ist, in einer neuen automobilen Zeit Geld mit Neuwagen zu verdienen. Es wird nur anders und verlangt hohe Aufmerksamkeit wie auch die Bereitschaft, ausgetretenen Pfade zu verlassen. Es gilt: Irgendwas geht immer! Am Besten mit einem Partner, wie dem BVfK, der sich um die Rahmenbedingungen kümmert.

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