BVfK-Reihe: Neues Gewährleistungsrecht ab 2022 verständlich erklärt

BVfK-Reihe: Neues Gewährleistungsrecht ab 2022 verständlich erklärt

Heute: Der neue Sachmangelbegriff nach § 434 BGB

Um BVfK-Mitglieder rechtzeitig auf das seit Januar 2022 auf den Handel „zugerollte“ neue Gewährleistungsrecht vorzubereiten, hat der BVfK neben einer Reihe von BVfK-Seminaren auch im Wochenendticker Stück für Stück erklärt, welche Vorschriften seit Januar 2022 anzuwenden sind. Im Folgenden haben wir noch einmal alle Änderungen und Neuerungen für Sie zusammengefasst. Beginnen wollen wir mit dem modifizierten Sachmangelbegriff, der vieles gleich und noch mehr anders macht als sein direkter Vorgänger. Was das im Detail bedeutet, lesen Sie im Folgenden.

Der entscheidende Unterschied: Digitaler oder analoger Mangel?
Im Grunde gibt es seit 2022 gleich zwei neue Sachmangeldefinitionen. Der bereits existierende Sachmangelbegriff, der auf die meisten Kaufverträge anzuwenden ist und der in diesem Beitrag behandelt wird, ist grundlegend verändert worden. Gleichzeitig wurde eine neue Vorschrift eingeführt, welche die Haftung für Sachmängel an Waren mit „digitalen Elementen“ regelt und ausschließlich beim Verkauf vom Unternehmer an einen Verbraucher Anwendung findet. Dieser von den allgemeinen Regelungen abweichende Mangelbegriff sowie die Frage, wann eine Ware „digitale Elemente“ enthält, soll in einem folgenden Beitrag erläutert werden. Wir starten stattdessen mit dem allgemeinen Sachmangelbegriff.

Wann ist eine Sache zukünftig mangelhaft?
Vor 2022 galt gemäß § 434 BGB in seiner ursprünglichen Fassung, dass man zunächst darauf abstellt, ob die Parteien eine bestimmte Beschaffenheit vereinbart haben. Ist das der Fall, etwa im Hinblick auf das Merkmal der Unfallfreiheit, bedarf es der nächsten Stufe, auf der geprüft würde, ob die Sache sich für die vertraglich vorausgesetzte oder gewöhnliche Verwendung eignet, nicht. Wäre zur Unfallfreiheit hingegen nichts vereinbart worden, müsste man auf zweiter Stufe ermitteln, ob der Käufer die Unfallfreiheit nach der Art der Sache und im Vergleich mit ähnlichen Produkten – hier vergleichbaren Fahrzeugen – erwarten darf. Bei nur wenige Jahre alten Fahrzeugen wäre dies in der Regel der Fall.

In Abkehr von dieser bisherigen Praxis, die eine Art „Stufensystem“ beinhaltet, lautet § 434 BGB, der den Sachmangel nach wie vor definiert, nunmehr einleitend in Absatz 1: „Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.“

Nach dem neuen Sachmangelbegriff muss die Sache also gleichzeitig den

– subjektiven,
– objektiven 
und den
– Montageanforderungen 
entsprechen.

Was dies im Einzelnen bedeutet, erfahren Sie jetzt. Lesen Sie in jedem Fall – gerne auch vorab – die anschließenden Praxisbeispiele!

Wie lauten die subjektiven Anforderungen?

Die Sache entspricht den subjektiven Anforderungen, wenn sie

  1. die vereinbarte Beschaffenheit hat
  2. sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet
  3. mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage und Installationsanleitungen übergeben wird

(Zur subjektiven Beschaffenheit gehören laut Gesetz „Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben.“)

Wann sind die objektiven Anforderungen der Kaufsache erfüllt?

Die Sache entspricht den objektiven Anforderungen, wenn sie

  1. sich für die gewöhnliche Verwendung eignet
  2. eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer unter Berücksichtigung der Art der Sache, öffentlicher Äußerungen oder der Beschaffenheit einer Probe/eines Musters erwarten kann
  3. mit dem erwartbaren Zubehör und den erwartbaren Anleitungen übergeben wird.

(Zu der üblichen Beschaffenheit gehören laut Gesetz „Menge, Qualität und sonstige Merkmale der Sache, einschließlich ihrer Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit. An öffentliche Äußerungen ist der Verkäufer nicht gebunden, wenn er sie nicht kannte und auch nicht kennen konnte bzw. er sie berichtigt hat oder die Äußerungen für die Kaufentscheidung nicht maßgeblich sind.“)

Worum geht es bei den „Montageanforderungen“?

Die Sache entspricht den Montageanforderungen, wenn die Montage sachgemäß durchgeführt worden ist – So weit so gut. Das Gesetz geht aber noch weiter:

„Soweit eine Montage durchzuführen ist, entspricht die Sache den Montageanforderungen, wenn die Montage zwar unsachgemäß durchgeführt worden ist, dies jedoch weder auf einer unsachgemäßen Montage durch den Verkäufer noch auf einem Mangel in der vom Verkäufer übergebenen Anleitung beruht.“

Daraus könnte möglicherweise eine Beweislastumkehr zu Lasten des Verkäufers folgen, denn es wird gesetzlich vermutet, dass die Montage unsachgemäß und damit mangelhaft durchgeführt wurde, wenn sich ein Fehler zeigt, woraufhin der Verkäufer sich entlasten muss (Beispiel: Montage einer Anhängerkupplung). Schwer vorherzusehen ist in dem Zusammenhang außerdem, welche Anforderungen die Gerichte an den Inhalt von Montageanleitungen stellen werden.

Was ändert sich außerdem im Vergleich zu früher?

Nachfolgende Grafik zeigt, dass sich die bisherigen Merkmale des Sachmangels teilweise nur in neue Kategorien verschoben haben. Hinzu kommen Anforderungen an vereinbartes und erwartbares Zubehör sowie die Beschaffenheit einer Probe/eines Musters:

(a.F.= alte Fassung; n.F.: = neue Fassung ab 2022)

Praxisbeispiele

Wie aufgezeigt, wird das Hauptproblem fortan sein, dass die Sache alle gesetzlichen Anforderungen gleichzeitig erfüllt, also so beschaffen sein muss, wie vertraglich vereinbart und gleichzeitig wie objektiv, also üblicherweise erwartbar. Das könnte sich zum Beispiel in folgenden Situationen auswirken:

Beispielfall 1:

Verkauf eines Fahrzeugs mit Motorschaden

Bislang genügte es, den Motorschaden im Vertrag an gut wahrnehmbarer Stelle zu konkretisieren, um eine entsprechende Beschaffenheit zu vereinbaren, etwa durch folgende Vereinbarung: „Motorschaden, Zylinder 1-4 defekt, weiteres Schadensausmaß unbekannt“

Seit dem 01.01.2022 darf der Käufer trotz dieser Vereinbarung allerdings zusätzlich erwarten, dass das Fahrzeug trotz entsprechender Vereinbarung den objektiven, also erwartbaren Anforderungen entspricht. Ohne entgegenstehende Anhaltspunkte darf der Käufer bei einem Vergleich mit Fahrzeugen der gleichen Art in der Regel erwarten, dass das Fahrzeug keinen Motorschaden aufweist, insbesondere fahrtauglich ist.

Beispielfall 2:

Verkauf eines Vorführwagens mit TÜV

Unter gewissen Voraussetzungen darf der Käufer erwarten, dass ein Vorführfahrzeug eine frische TÜV-Prüfung durchlaufen hat. Zukünftig reicht es daher womöglich nicht, im Vertrag die Restdauer der HU-Gültigkeit zu vermerken („noch 14 Monate TÜV“), da objektiv davon ausgegangen werden darf, die HU-Gültigkeit betrage 24 Monate.

Beispielfall 3:

Neuwagenkauf mit vorheriger Probefahrt

Der Käufer darf mittlerweile erwarten, dass das Fahrzeug der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht. Hierunter fallen vermutlich auch Probefahrten mit meist deutlich höher bzw. vollausgestatteten Fahrzeugen, hinter deren Ausstattung das erworbene Fahrzeug vermutlich zurückbleibt. Auch dies würde eine objektive Beschaffenheitsabweichung darstellen, für die der Verkäufer voraussichtlich haften wird.

Fazit und Ausblick

Gerade diese Beispiele zeigen: Der Käufer wird zukünftig deutlich mehr erwarten dürfen als vertraglich vereinbart wurde. Um dem entgegenzuwirken hat der Verkäufer im Verbrauchsgüterkauf – also Verkauf von Unternehmer an Verbraucher – strenge Formanforderungen einzuhalten, unter denen eine Haftung für die üblichen Erwartungen abbedungen werden kann. Im B2B-Geschäft sowie bei Verkauf von privat an privat dürften Beschaffenheitsvereinbarungen hingegen deutlich einfacher bzw. weitestgehend wie bisher zu treffen sein.

An vielen Stellen überlässt der Gesetzgeber die Ausgestaltung und Praxisumsetzung der Rechtsprechung, die sich mit den Anforderungen entsprechender Vereinbarungen auseinandersetzen müssen wird. Selbstverständlich hat der BVfK seine Vertragsformulare der aktuellen Rechtslage angepasst und wird auch weiterhin durch Rechtsprechung gewonnene Erkenntnisse einfließen lassen.

Ihre BVfK-Rechtsabteilung.

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